In amoxtli - das mesoamerikanische Buch
On tlamahuiz nahmania in Colhuacan
Xiuhtlahcuilolli Ya amoxcalitec
Maravillosamente perduran en Colhuacan
las preciosas pinturas y el cúmulo de libros
(Cantares Mexicanos)
Als spanische Conquistadores zu Anfang des 16. Jahrhunderts das Gebiet des heutigen Mexikos und Guatemalas eroberten, berichteten sie von umfangreichen Archiven (Nahuatl amoxcalli, wörtlich „Buch-Haus“) in allen großen Stadtstaaten der Region. Die mesoamerikanische Schrifttradition reichte zu diesem Zeitpunkt rund ein Jahrtausend zurück und hatte Zeugnisse in unterschiedlichen Schriftsystemen hervorgebracht.
Die prähispanischen Codices (Nahuatl amoxtli, Pl. amoxtin) fielen jedoch bis auf wenige Exemplare – zwei davon werden heute in Wien aufbewahrt - der Conquista und der Inquisition zum Opfer. Trotz Protesten einzelner Missionare wie Diego Duran oder Bartolomé de las Casas) wurden Unmengen von Handschriften verbrannt.
Dennoch ging die mesoamerikanische Schrifttradition mit der Eroberung nicht schlagartig zu Ende. Im Gegenteil, in der Kolonialzeit entstanden mehrere hundert Bilderhandschriften, einige davon sogar auf Anregung der Spanier, andere wurden von indigenen Gemeinden als Rechtsdokument gegen die Ansprüche der Kolonialherrn eingesetzt.
Trotz der nahezu vollständigen Vernichtung der präkolumbischen Literatur Mesoamerikas liegt damit ein großer, wenn auch überwiegend aus der Kolonialzeit datierendes Textcorpus mit einem einzigartigen Quellenwert vor: Die Amoxtin erzählen die Geschichte Amerikas aus der indigenen Perspektive und stellen damit einen unverzichtbaren Beitrag für eine polyphone, „globale“ historische Forschung dar.
Universität Wien
Institut für Romanistik
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